▶ DR. SYLVIA BLEZINGER
Die Fridays for Future-Bewegung wurde im vergangenen Jahr radikal ausgebremst. Das macht das Thema jedoch nicht weniger wichtig. Viel Geld und Energie ist in die Bekämpfung der Pandemie geflossen. Was bleibt da noch für die Bekämpfung des Klimawandels übrig? Das ist die falsche Frage. Nicht überschüssiges Geld ist für das Klima aufzuwenden, sondern alles, was wir haben. Denn das Klima wird vermutlich zur grössten – auch medizinischen – Krise dieses Jahrhunderts.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht entschied Ende April in einem Aufsehen erregenden Urteil, dass die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz nachbessern muss, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen zu schützen. Beim Klimaschutz gibt es zwei Aspekte: Einerseits die Verhinderung von nicht verkraftbaren Veränderungen des Klimas, andererseits die Anpassung an die Folgen der bereits vorhandenen Veränderungen. Das Gesundheitssystem ist von beiden Aspekten stark betroffen. Erstens hat es erheblichen Anteil an den Treibhausgasemissionen. Zweitens führt der Klimawandel bereits jetzt zu einer Zunahme von Krankheiten und vorzeitigen Todesfällen.
Eine Reduktion des CO2-Fussabdrucks, also der direkten und indirekten CO2- Emissionen, gelingt durch:
❱ Reduktion des Energieverbrauchs
❱ Reduktion direkter Treibhausgase
❱ Nutzung regenerativ erzeugter Energien (Photovoltaik, Erdwärme etc.)
❱ Reduktion des Verkehrs von Patienten und Mitarbeitenden
❱ Klimaneutrales Bauen (intelligentes Lüftungskonzept, adiabate Kühlung, Isolation etc.)
❱ Abfallvermeidung und -verwertung
❱ Nachhaltigkeitskriterien im Einkauf für Investitionsgüter, Verbrauchsmaterial und Arzneimittel
❱ Optimierung der Prozesse (Digitalisierung, Reduktion der Verkehrsströme)
Die Kosten
Beim Klimaschutz denken die meisten sofort an Minergie. Das Bettenhaus des Triemli-Spitals (ZH) war das erste Minergie-P-ECO-Spitalgebäude in der Schweiz, das allerdings wegen der Finanzierung in Kritik geriet. Europas grösstes Netzwerk für nachhaltiges Bauen (mit einem separaten Bereich für Gesundheitseinrichtungen!) ist die DGNB, die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.
Die Glantal-Klinik, eine Akutklinik mit 150 Betten, wurde mit einem nachhaltigen Konzept in Ökologie, Ökonomie und Sozialem und einem Budget von 40 Millionen Euro als Leuchtturmprojekt geplant – das erste Green Hospital für Rheinland-Pfalz (Deutschland) mit einem DGNB-Zertifikat in Gold. Genutzt wurden alle Elemente des DGNB-Zertifikats. Ein Holzpelletkessel für ein nachhaltiges Energiekonzept, LED-Technik, eine optimierte Wärmedämmung der Fassade und ein thermisches Komfortkonzept.
Ergebnis: Die Mehrkosten für das DGNB-Zertifikat machten etwa 5 Prozent der Baukosten aus. Die Kosten für Heizenergie konnten dagegen um mehr als 60 Prozent gesenkt werden!
Das Architekturbüro a|sh, das auch am Bau des Universitätsspitals Zürich beteiligt ist, hat bereits etliche Gesundheitsbauten unter dem Aspekt «Grün» gebaut. Der Geschäftsführer Linus Hofrichter hält den Zertifizierungsprozess trotz der Zertifizierungskosten für interessant: «Es ist nicht nur die Plakette am Eingang und das Qualitätssiegel auf der Website, sondern auch eine gute Projektdokumentation. Green hospital ist erst am Anfang. Es geht nicht nur um Energiethemen, sondern auch darum, neue (alte) Baustoffe verstärkt im Spital einzusetzen. Also warum nicht Holz und Lehm?»
Bauen ganz ohne Beton?
Energie, Material, Ressourcen, diese Komponenten sollten bei jedem Neubau genau auf die Klimaverträglichkeit geprüft werden. Dennoch wird in der Schweiz immer noch (zu) viel mit Beton gebaut. Die Rohstoffe zur Herstellung von Beton werden knapp und der Bau mit Beton ist ökologisch höchst bedenklich. Mit dem Holz-Bau NEST in Dübendorf (ZH) zeigen Empa und die ETH eindrücklich, was mit Holz machbar ist. Auch der Brandschutz muss neu überdacht werden. Daher ist zurzeit eher eine gute Kombination aus Holz und Beton geeignet.
Der Betrieb muss nachhaltig sein
«Klimaschutz im Gesundheitsbau ist schwierig, weil solche Gebäude kaum balancieren können», sagt Julian Weyer, Partner des renommierten dänischen Architekturbüros C.F. Müller. «Natürlich sorgen wir für nachhaltige Energieversorgung im möglichen Umfang (z.B. Solar, Geothermie und Wärme-/Kältespeicher), Sonnenschutz und effiziente Ventilation etc. In den Materialkonzepten versuchen wir möglichst viel Holz zu berücksichtigen, und gesunde und zertifizierte Materialien einzusetzen. Dennoch sind Spitäler grosse Verbraucher, die kaum zu den besten Beispielen von Klimaschutzarchitektur gehören. Daher ist die Gestaltung von effizienten Abläufen und Nachhaltigkeit der Hebel an dem man (als Architekt) die beste Wirkung erreichen kann. Bei einem grossen Spital übersteigen die Betriebskosten die Baukosten nach 3-4 Jahren. Auch wenn die Bilanz für graue Energie etwas länger braucht, bevor sie vom Betrieb eingeholt wird, sind es doch eher die laufenden Verbraucher, die die grösste Herausforderung ausmachen. Daher legen wir den Fokus auf Betriebseffizienz, grüne Umgebungen mit Resilienzkonzepten sowie Flexibilität und Umnutzbarkeit für die Zukunft. Denn wenn – wie heute nicht unüblich – der Bau nach 25–30 Jahren wieder abgerissen wird, waren alle anderen Bestrebungen umsonst!»
Ron Hendricks, Fachmann für Kapazitätsmanagement aus den Niederlanden, berechnete, dass bei einem Rund-um-die-Uhr-Betrieb der Spitäler 2/7 der Kapazitäten ohne Einfluss auf die Qualität der Versorgung oder Entlassungen reduziert werden könnten. Für die Niederlande hiesse dies, dass von den 35000 Betten etwa 8000–10000 Betten geschlossen werden könnten. Die grösste Verringerung eines Energie- und Ressourcen-Verbrauchs.
Die Macht der Heime und Spitäler
Zwar sind ökologische und nachhaltige Baustoffe (noch) teurer. Mit intelligenter Auswahl der Produkte und geschickter Ausschreibung lassen sich die Kosten dennoch niedrig halten. Wenn Klimaziele in Ausschreibungen formuliert werden, müssen sich die ausführenden Unternehmen etwas einfallen lassen, um diese zu erreichen. Schon im eigenen Interesse. Frank van Dillen, niederländischer Architekt sagt dazu: «Jeder Teil des Gebäudes hat eine Lebensdauer. Je kürzer die Austauschfrequenz ist, desto grösser ist die Auswirkung auf unser Klima. Um eine möglichst nachhaltige Lösung zu schaffen, muss das Material für jedes Teil entsprechend separat festgelegt werden. Dadurch entsteht eine Hybridkonstruktion mit minimaler Umweltbelastung. Dies führt zu neuen Finanzierungsformen mit den Kapitalgebern.»
Klimaschutz beim Gesundheitsbau – Praktisch umsetzbar?
Funktionierende Lösungen müssen über administrative Hoheitszonen hinweg umgesetzt werden. Dr. Christian M. Schulz, Geschäftsführer der KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. fordert die Gründung von ministeriellen Planungsgruppen unter Einbindung möglichst vieler Akteure, um die politischen Rahmenbedingungen zu schaffen für eine klimagerechte Gesundheitsversorgung. Die Politik ist dringend dazu aufgerufen, entsprechende finanzielle Ressourcen und Anreize bereitzustellen. Eine Verknüpfung der Corona-Unterstützung mit Klima-Aspekten ist sinnvoll, auch wenn dies viel Gegenwind bedeuten würde. Doch die effizienteste Lösung ist immer: weniger und dafür hocheffiziente Spitäler zu bauen!
Erschienen in der Fachzeitschrift Heime und Spitäler (Ausgabe 2 / Mai 2021). Den Artikel als PDF herunterladen.