▶ DR. SYLVIA BLEZINGER
Zunächst einmal: Was ist Hotellerie im Gesundheitswesen? Das Kerngeschäft der Einrichtungen sind die medizinischen Leistungen und die Pflege. Im Prinzip gehören alle nicht-medizinischen, nicht-pflegerischen und nicht therapeutischen Leistungen zum Bereich Hotellerie. Das sind im Wesentlichen Atmosphäre, Serviceleistungen, Gastronomie, Reinigung, Logistik und ähnliches. Je grösser die Einrichtungen sind, desto mehr sind diese FM-Leistungen differenziert und spezialisiert. Zurzeit werden im Gesundheitsbereich durch Neu- und Umbauten die Weichen für die Zukunft gestellt. Die wichtigsten Fragen bei Bau, Umbau und Reorganisation ist: Wie ist der Bedarf jetzt und wie wird der Bedarf in Zukunft sein? Das Thema Hotellerie ist modern, ein Trend im Gesundheitswesen. Spitäler und Pflegeheime sehen die Hotellerie als Marketing-Argument, als Service für die Kunden. Wie sinnvoll ist das?
Zunehmend werden Einrichtungen des Gesundheitswesens von den „Kunden“ bewertet. Laien können medizinische Leistungen nur schwer beurteilen. Dementsprechend gibt eher die Hotellerie den Ausschlag.
In vielen Heimen und Spitälern werden seit einigen Jahren neue Funktionen für Hotellerieassistenzen (wie zum Beispiel der Room Service) eingeführt. Die Idee dahinter ist, die Pflege zu entlasten und deren Konzentration auf das Kerngeschäft zu ermöglichen. Nicht nur der Serviceaspekt, sondern auch der ökonomische Aspekt fliesst hier ein. Statt des Pflegepersonals bringt der Room Service das Essen. Die Ernährung und Nahrungsaufnahme ist jedoch oft Teil der Behandlung und Pflege. Ein Room Service ist also nicht immer sinnvoll.
DIE BEDEUTUNG DER HOTELLERIE IN SPITÄLER
Spitäler enthalten die Hotellerie quasi schon im Wort. Hospes, lateinisch für Gast, Hospitalitas, lateinisch für Gastfreundschaft. Dennoch ist das Kerngeschäft ein anderes.
Für wen ist die Hotellerie im Spital also relevant? Die Liegezeiten im Akutbereich sinken laufend. In den skandinavischen Ländern sind es bereits nur noch drei bis vier Tage. Dies wird in Zukunft auch in der Schweiz ähnlich sein. Die Patienten und Patientinnen sind in diesem Zeitraum so schwer pflegebedürftig, dass sie keine zusätzlichen Hotellerie-Leistungen benötigen. In Zukunft sind es also hauptsächlich chronisch Kranke und das Personal, die sich häufig im Spital aufhalten. Diese internen Kunden müssten in Zukunft die eigentliche Zielgruppe der Hotellerie- Massnahmen in Spitälern sein.
Prof. Dr. Susanne Hofer, langjährige Forschungsleiterin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hält das Facility Management für enorm unterschätzt. Sie fordert, bei Plänen zu Bau oder Reorganisation die Prozessgestaltung im Vorfeld einzubeziehen. Dadurch gibt es später weniger teure Änderungen wie der nachträgliche Umbau für führerlose Transportsysteme oder ähnliches.
Die Hotellerie im Spital ist also für viele Häuser ein strategischer Ansatzpunkt, um sich von den Mitbewerbern abzusetzen. Aber was bedeutet dies eigentlich? Es bedeutet, dass Spitäler in starker Konkurrenz zueinander stehen. Sie kanibalisieren sich gegenseitig, indem sie sich Patienten abwerben. Es gibt also mehr Angebot als Nachfrage und dies bedeutet eine Überversorgung an Gesundheitsleistungen. Ist das wirklich sinnvoll?
Was in Zukunft an Bedeutung gewinnen könnte, sind Patientenhotels. Ein Spitalbett kostet 800 bis 1000 Schweizer Franken pro Tag. Patienten, die nicht hoch pflegebedürftig sind, aber noch überwacht werden müssen, chronisch Kranke oder Patienten aus ambulanten Behandlungen ziehen in Zukunft in ein (angeschlossenes) Hotel mit Pflegeleistungen. Auch für Angehörige wäre dies interessant. Das aktuelle Finanzierungssystem motiviert allerdings nicht unbedingt dazu. Sollen in Zukunft die Gesundheitskosten nicht unendlich steigen, müssen sich die Anreizsysteme deutlich ändern.
BEISPIEL WALDKLINIKEN EISENBERG IN DEUTSCHLAND
David Ruben Thies, Geschäftsführer der Waldkliniken Eisenberg (DE), implementierte bereits vor dem Bezug des Neubaus innovative Hotellerie-Konzepte. In der Folge erreichten die Waldklinken mehrmals die Prämierung als bestes Spital seiner Grösse in Deutschland. Im Klinikum gibt es nur Ein- und Zweibettzimmer, die vom Stararchitekten Mateo Thun architektonisch so geschickt gebaut wurden, dass auch in Zweibettzimmern ein Einzelzimmer-Gefühl erreicht wird. Mit dem Konzept wollen die Waldkliniken die Patienten- und Gästezufriedenheit auf ein neues Level heben. Deshalb wurde der kürzlich fertig gestellte Neubau auch als Patientenhotel der Waldkliniken Eisenberg und eben nicht als Bettenhaus gebaut. Ein besonders cleverer Schachzug des Geschäftsführers: er hat es vom Bundesverband des Hotel und Gaststättengewerbes (DEHOGA) als Vier Sterne Superior Hotel zertifizieren lassen. Ist das sinnvoll? Ja. Es ist ein Spital mit Schwerpunkt Orthopädie. Hier liegen die Patientinnen eher über eine längere Zeit und können sich so gut erholen.
Ein hervorragendes Restaurant hat in einer orthopädischen Klinik durchaus seine Berechtigung. Die Patientinnen werden so zu Bewegung animiert.
DIE BEDEUTUNG DER HOTELLERIE IN PFLEGEHEIMEN
Die Bewohner:innen von Pflegeheimen verbringen ihre allerletzten Jahre dort. Sie mussten meist in hohem Alter ihre vertraute Umgebung verlassen. Es gebietet der Respekt, diesen letzten Lebensabschnitt so angenehm wie möglich zu gestalten.
Ein schönes Beispiel für gelungene Hotellerie für Pflegegäste ist Sonnmatt in Luzern. Sonnmatt bietet, nebst Kurhotel und Residenz, auch eine Rehaklinik mit 54 Betten und 30 Zimmer für Gäste in der Langzeitpflege an. Ruth Betschart, die stellvertretende Direktorin, hat ihre langjährige Erfahrung aus der gehobenen Hotellerie stimmig eingebracht. Auf Sonnmatt wird demzufolge bei Um- oder Neubauten der Fokus auf eine Hotelinfrastruktur gelegt, in der medizinische und pflegerische Leistungen möglich sein müssen. Im Kurhotel werden Gäste nach einem Spitalaufenthalt oder einem ambulanten Eingriff in einer Hotelumgebung medizinisch versorgt durch Pflegepersonal, Therapeutinnen und Konsiliarärztinnen. Beispielhaft ist im Sonnmatt damit auch die effiziente Nutzung der Synergien zwischen Hotel und Klinik. Urs Niffeler, der Direktor, sieht die Prozesskette dann auch folgerichtig als orientiert an den Gästen und nicht an den medizinischen Prozessen: «Denken aus der Sicht des Gastes» ist sein Credo.
Doch auch in den Pflegeheimen wird die Aufenthaltsdauer kürzer. Die moderne Technik, medizinische Versorgung uns Spitexleistungen ermöglichen es den pflegebedürftigen Menschen länger im häuslichen Umfeld zu bleiben. Die Personen, die also letztendlich ins Pflegeheim kommen, sind zunehmend schwer pflegebedürftig. Allerdings gibt es hier bereits Überlegungen – in den Niederlanden teilweise sogar schon umgesetzt –, die Hotellerie in das häusliche Umfeld auszuweiten.
IST DIE HOTELLERIE IM GESUNDHEITSWESEN ÜBER- ODER UNTERSCHÄTZT?
Es kommt auf den Blickwinkel an. Es kommt auf den Zeitrahmen an.
In den Spitälern ist die Hotellerie in Form der Serviceleistungen eher überschätzt und kostet Geld, das die Prämien verteuert. Eine Entwicklung, die wir uns nicht mehr lange leisten können. Hotellerie als FM-Prozess ist dagegen weit unterschätzt. Von Anfang an (VOR Bau und Reorganisation) gut durchdachte Prozesse bringen enormen Effizienzgewinn.
Letztendlich wird der Fokus in Zukunft – hoffentlich – mehr auf dem Personal liegen. Eine angenehme Arbeitsatmosphäre lässt sich bereits ohne viel Aufwand durch die Innenarchitektur (Farben!) erreichen. Funktionierende und durchdachte Prozesse, etwas mehr Hotel und etwas weniger Spital oder Pflegeheim in der Gestaltung ist heute und in Zukunft wünschenswert.
Erschienen: fmpro service (Ausgabe 5 | 2022). Den Artikel als PDF herunterladen.