▶ DR. SYLVIA BLEZINGER
Ein Neu- oder Umbau ist eine Herausforderung. Ist alles richtig geplant? Wurde nichts vergessen? Funktioniert es in der Praxis so wie vorgesehen? Lassen sich die geplanten Prozesse im Bau umsetzen? Konnten sich die Nutzer gut genug einbringen?
Die Ziele einer guten Planung sind
❱ Einen funktionierenden Betrieb zu garantieren
❱ Arbeitsprozesse zu optimieren
❱ Das Personal mitzunehmen
Die Industrie testet Neuentwicklungen mit teilweise aufwendig gebauten Prototypen. Bei einem Gebäude ist das nicht möglich. Dabei wäre das bei einem komplexen Gebäude wie beispielsweise einem Spital durchaus sinnvoll. Viele Bauherren setzen stattdessen auf Mock-ups. Diese «provisorischen Bauten» sind zwar hilfreich, aber teuer und aufwendig. Die Nachteile eines Mock-ups sind zudem, dass er nur einen Teil der geplanten Bereiche abdecken kann und es fast unmöglich ist, den jeweils aktuellen Planungsstand abzubilden.
Nichtsdestotrotz lohnt sich ein Mock-up. VOR dem Bau suboptimale Prozesse zu verbessern und die Planung zu optimieren spart Zeit, Geld und Nerven. Läuft ein Prozess aufgrund einer Fehlplanung nicht gut, potenzieren sich die Kosten im Betrieb.
Der Prototyp im Gesundheitsbau
Lange gab es Baupläne ausschliesslich in Papierform. Zweidimensional. Die Beteiligten benötigen viel Vorstellungsvermögen, um diese Pläne gedanklich in ein dreidimensionales Gebäude zu übersetzen. Später ermöglichten die grösseren Rechenleistungen der Computer die 3-D-Visualisierungen. Doch auch diese sind auf die Theorie und die reine Visualisierung beschränkt. Das physische Begehen ist bisher nach wie vor nur in Mock-ups möglich.
Ein ETH Spin-off, Inspacion, befasst sich seit 2015 mit der Lösung dieses Problems: Wie wäre es, wenn Nutzer gemeinsam in Gruppen die neue Planung «vor Ort» in einem virtuellen Gebäude testen und diskutieren könnten? Zusammen mit dem Universitätsspital Basel, dem Kantonsspital Aarau und der Spitalregion Rheintal, Werdenberg, Sarganserland (SRRWS) entwickelte Inspacion ein System, das auf den Daten aus der BIM-Planung (Planung mit Building Information Modeling) basiert. Bisher können nur die an der Entwicklung beteiligten Spitäler das System nutzen. Die Software ist jedoch bereits so weit fertig gestellt, dass sie ab Herbst auch anderen Spitälern/Gesundheitsbauten zur Verfügung steht.
Auf einem relativ kleinen Raum (ca. 10 x 10 Meter) kann ein ganzes Spital dargestellt werden. Die Software, die BIM Daten (IFC-Dateien) oder in einer frühen Phase einen Layoutentwurf als Plan sind alles, was benötigt wird, um ein quasi-reales Spital zu «bauen».
Die Nutzer setzen eine VR-Brille auf, erhalten Steuerungsgeräte (Controller) in jede Hand und können sich zu Fuss durch jeden Raum des geplanten Gebäudes bewegen. Die Besonderheit des Systems ist, dass sich mehrere Personen (derzeit maximal drei) gleichzeitig im selben Raum bewegen und miteinander wie auch mit den Gegenständen im Raum interagieren können. Ganz wie in einem gebauten Prototyp des Spitals. Das Gebäude wird also nicht mehr betrachtet, sondern ganz natürlich erlebt. So, als ob es bereits gebaut wäre.
Einsparungen in Millionenhöhe
Das Universitätsspital Basel nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. In einem umgenutzten Raum unter dem Dach wird so ohne grossen Aufwand ein «Prototyp» des geplanten Spitalgebäudes dargestellt. Vier Begrenzungspfosten, ein Schrank voll modernster Computertechnik. Mehr ist nicht nötig.
Dr. Volker Büche, Leiter Strategische Betriebs- und Standortplanung des Universitätsspitals Basel ist sicher, dass durch dieses System der virtuellen Darstellung des Gebäudes Einsparungen in Millionenhöhe möglich sind: «Das System ist eine enorm wertvolle Hilfe bei der Nutzerabstimmung. Wir hätten beispielsweise die MRT-Vorbereitungszonen auf der 2D-Planungsgrundlage nicht funktional genug gebaut. Die nachträglich notwendigen Umbauten hätten ein Vermögen gekostet. Die Prozessowner (Nutzer) können durch das Prozesserleben viel detailliertere Rückmeldungen geben.»
Diese Einschätzung ist nachvollziehbar. Ineffiziente Prozesse und Fehlkonstruktionen im Vorfeld zu erkennen, führt zu enormen Einsparungen. Zudem können im virtuellen Raum Wände, Mobiliar und Geräte verschoben werden. Einen Patienten umlagern oder Hilfestellung leisten kein Problem im virtuellen Raum. Mit allen Beteiligten und deren Raumbedarf wohlgemerkt.
Zukünftige praktische Bedeutung
«Was es noch nicht zu kaufen gibt, müssen wir eben mitentwickeln.» Nach diesem Prinzip haben die drei Spitäler zusammen mit Inspacion eine Software entwickelt, die nicht nur bei der Planung von Neu- oder Umbauten hilfreich ist, sondern auch als Basis für die Prozessentwicklung und Umstrukturierungen bilden könnte. Entscheidungen können so effizient getroffen werden.
Die Evaluation der Planung mit Fokus auf Betriebsprozesse, Planung der Kern- und Supportprozesse, Layoutentwicklung und frühe Planung sind nun möglich. Auch für die prozessuale Inbetriebnahmeplanung und Schulungen eignen sich die virtuellen Räume. In Zukunft könnte jedes Spital einen eigenen VR-Raum besitzen. Ähnlich wie ein Flugsimulator für Entwickler und Piloten. Für die Qualitätssicherung und Risikominimierung ein wichtiger Schritt.
Was fehlt noch?
So beeindruckend und hilfreich das System bereits ist, es ist noch viel mehr vorstellbar. Wie bei den meisten IT-Entwicklungen wird ein Wunsch quasi automatisch erfüllt: Die Nutzerbegleitung wird noch intuitiver, die Geräte (VR-Brille, Controller) kleiner und leichter.
Aktuell steht eine herstellerneutrale Sammlung von interaktiven Einrichtungsgegenständen (Geräten, Mobiliar etc.) in der Software zur Verfügung. In Zukunft könnten (müssten?) die Hersteller von Einrichtungsgegenständen ihre Produktdaten in Form von Datenkatalogen ebenfalls zur Verfügung stellen, damit in einer fortgeschrittenen Planungsphase auch eine herstellerspezifische Planung möglich ist.
Ein grosser Fortschritt wäre ausserdem, wenn sich mehr als drei Personen gleichzeitig im virtuellen Raum aufhalten könnten. Die Virtual-Reality-Geräte auf dem Markt sollten dies voraussichtlich ab Anfang 2022 ermöglichen. Zusätzlich können sich weitere Personengruppen via Bildschirm und Audio zuschalten. Bis jetzt müssen sich die Personen physisch noch am selben Ort befinden. Vorstellbar ist, dass man sich in Zukunft von jedem beliebigen Ort in das virtuelle Spital «beamen» kann. Technisch ist dies bereits jetzt problemlos möglich, es ist «nur» eine Frage des Budgets. Da es sich allerdings um sensible Daten handelt, die übertragen werden, muss die Sicherheit der Daten garantiert sein. Doch auch dieses Problem sollte lösbar sein.
Es ist faszinierend zu sehen, was drei grosse Spitäler und ein junges, dynamisches Unternehmen in relativ kurzer Zeit erreicht haben. Ein grosser Schritt für ein junges Unternehmen, ein grosser Schritt für die Spitalplanung.
Erschienen in der Fachzeitschrift Heime und Spitäler (Ausgabe 3 / August 2021). Den Artikel als PDF herunterladen.