▶ DR. SYLVIA BLEZINGER
Visionen sind unsere grossen Motivatoren. Doch die Zukunft kann nur aus der Erfahrung der Vergangenheit heraus modelliert werden. Wagen wir also einen Blick zurück in die Zukunft aus unseren diesjährigen Veranstaltungen.
Ende Oktober fand die 11. Fachkonferenz „Das Spital der Zukunft“ in Luzern statt. Kaderpersonen aus Spital und Architektur trafen sich, um gemeinsam über die Zukunft des Spitals zu diskutieren. Dabei ging es nicht um den noch recht überschaubaren Zeitraum von fünf oder zehn Jahren, sondern um den Zeitpunkt, an dem der aktuell geplante Bau noch in Betrieb ist. Es geht also um das Jahr 2050.
Zukunft – Welche Zukunft?
Wie können wir uns die Zukunft im Jahr 2050 vorstellen? Gehen wir dazu einfach einmal um ebenso viele Jahre zurück: in die 90er-Jahre. Das Klonschaf Dolly wurde geboren. Das Fax (!) setzt sich als Mittel für die schnelle schriftliche Kommunikation durch. Mitte des Jahrzehnts kamen die ersten Farbkopierer auf den Markt. Es gab den allerersten Internet-Provider. Über Modems konnte man sich über die Telefonleitung ins Internet einwählen. Hat man diese Bilder vor Augen, ist es kein Wunder, dass Bücher, die damals zu Thema Spitalbau geschrieben wurden, heute als veraltet gelten. Die Spitäler hingegen sind noch immer in Betrieb.
In Zukunft erwarten uns wahrscheinlich folgende Rahmenbedingungen: Fast 10 Milliarden Menschen und eine Erderwärmung um 2-3 Grad. Damit verbunden sind mehr Naturkatastrophen, ein um 30 cm höherer Meeresspiegel und eine enorme Migration. Dr. Christian Schulz von der deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit warnte in seinem Vortrag vor den Konsequenzen. Bereits 2014 waren ein Viertel aller Todesfälle durch die Umwelt verursacht. Er plädiert eindrücklich dafür, diesen Trend mit allen Mitteln zu bremsen. Dazu gehört auch, die Spitäler so ökologisch verträglich wie irgend möglich zu bauen.
Im Prinzip können Megatrends genutzt werden, um die zukünftigen Entwicklungen vorherzusagen. Susanne Hofer, Professorin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft (ZHAW) und Tagungsleiterin der Konferenz, nutzt mit ihrem Team dafür Megatrends. Im Gesundheitsmarkt sind dies: Flexibilisierung und Convenience, Personalisierung, Transparenz, Pflattformisierung, Demographische Veränderung, Digitalisierung, Ambulantisierung und Dezentralisierung (Frick & Schäfer 2020).
Abel Müller-Hübenthal, Direktor Immobilien und Betrieb des Inselspitals, findet es klug, möglichst genau zu überlegen, was in Zukunft zu erwarten ist. Der „Blick in die Glaskugel“ kostet Zeit und Ressourcen. Ein guter Masterplan hingegen gibt die Koordinaten vor, um schnell zu bauen. Voraussetzung für den Masterplan ist allerdings eine Vision. Voraussetzung für eine Vision ist eine gute Vorstellung davon wie die Zukunft aussehen könnte. Er sieht noch einen wichtigen Punkt: Mut zur Entscheidung.
Das Spital der Zukunft vor 50 Jahren
1996 entstand in den Niederlanden der Basisentwurf für ein Spital, das Orbis Medical Center, das zwanzig Jahre später eröffnet wurde. International viel beachtet, gilt es heute noch als Beispiel für das „Spital der Zukunft“. Bereits sehr früh im Entwurf war vorgesehen, dass Roboter die Betten transportieren. Patienten hätten implantierte RFID-Chips. So bräuchte man im Spital nur noch die relevanten Daten auszulesen. Es ging dann doch nicht so schnell, obwohl die Technik bereit war. Datenschutz und Finanzen waren die limitierenden Faktoren. Weitgehend papierlos war das Haus allerdings tatsächlich bereits bei Eröffnung.
Das Spital der Zukunft – auf dem Weg
Wie geht es weiter? Durch die demographische Entwicklung wird es weniger medizinisches Personal geben. Wer übernimmt also in Zukunft die Pflege? Entweder die Angehörigen oder die Technik. Roboter werden bereits in vielen (Pilot-)projekten in verschiedenen Anwendungen eingesetzt, allerdings hauptsächlich in der Logistik. Der automatische Warentransport gehört in vielen Häusern zum Standard. Der Transport durch Drohnen wird schon so häufig getestet, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis sich dieser durchsetzt.
Im neuen Universitätsspital Zürich wird zukünftig die Medikamentenvesorgung per Unit Dose System individuell an jeden Patienten angepasst. Das soll nicht nur die Qualität und Sicherheit erhöhen, sondern auch die Effizienz steigern und das Personal entlasten. Die nahe Zukunft ist eine Just-in-time-Versorgung zunächst via Drohnen, dann mit Robotern direkt zu den Patienten.
Das Spital der Zukunft – ist es überhaupt noch EIN Spital?
Johannes Kresimon, Architekt und Geschäftsführer der HDR GmbH aus Düsseldorf, sieht in Zukunft die verschiedenen Funktionen baulich getrennt. Durch die schnell und deutlich zunehmende Digitalisierung findet Behandlung und Pflege in Zukunft überwiegend im häuslichen Umfeld statt. Daneben gibt es dezentrale, wohnortnahe Pflegeeinrichtungen und integrierte Gesundheitszentren als Bestandteil der örtlichen Infrastruktur. Dazu wenige hoch spezialisierte Operations- und Behandlungszentren in Lagen perfekter Erreichbarkeit. Dänemark geht bereits in diese Richtung und hat schon früh auf die veränderte Demographie reagiert. Seit dem 1987 verabschiedeten Reformgesetz sind alle Neubauten Seniorenwohnungen mit Pflege- und Betreuungseinrichtungen und angeschlossenem Personal.
In Zürich Lengg gibt es ein städtebauliches Konzept für 2040, einen Masterplan, an dem sich verschiedene Kliniken beteiligen. Innovativ dabei: Ein Warenverteilzentrum für alle Kliniken. Auch das wird ein Aspekt für die zukünftige Entwicklung: Kooperationen im Sinne von Effizienzgewinn und Ressourcen-Optimierung.
Erschienen in der Fachzeitschrift Heime und Spitäler (Ausgabe 5 / Dezember 2021). Den Artikel als PDF herunterladen.