▶ DR. SYLVIA BLEZINGER
Alljährlich findet in Luzern eine Konferenz zum Thema «Spital der Zukunft» statt. Dieses Mal – zum 10-JahrJubiläum – zum ersten Mal als Hybrid-Konferenz. Referenten aus Dänemark, Singapur und Deutschland konnten so zugeschaltet darüber diskutieren wie das Spital der Zukunft aussehen könnte.
Aus der Evolution ist bekannt: Neues entwickelt sich, wenn die Rahmenbedingungen dies ermöglichen. Glücklicherweise sind wir in der Lage, die Rahmenbedingungen zu beeinflussen. Wie also sähe das Gesundheitssystem und das ideale Spital der Zukunft aus, wenn wir es auf dem Reissbrett entwerfen würden?
Das Gesundheitssystem auf dem Reissbrett
Dr. Andreas Gattiker vom Kantonsspital Obwalden hat es beeindruckend skizziert. Eine Grundversicherung als Pflicht für alle, gute Informationen und Datenhoheit (hoch strukturiertes EPD) sind die Basis. Hierfür gibt es bereits breiten Konsens. Anders sieht es aus bei den Leistungserbringern. Dr. Gattiker skizziert nationale Verbunde für die Gesundheitsversorgung, privatrechtlich, als Firma oder als Einzelunternehmen organisiert. Für die Schweiz reichten hierbei 15 Spitäler für die Grundversorgung, ein bis zwei Spitäler für spezialisierte Leistungen und ein Spital für hochspezialisierte Leistungen (siehe Grafik). Neubauplanung in der Innenstadt stellt er gänzlich in Frage. Warum nicht verkehrsgünstig, beispielsweise in der Nähe einer Autobahn? In Dänemark wird dies bereits umgesetzt. Keines der neuen «Super-Hospitals», die dort zurzeit entstehen, befindet sich in einer Innenstadt. Im Gegenteil: Die Spitäler selbst sind wie Städte geplant und hoch technisiert.
Obwohl die aktuelle Situation in der Corona-Krise den kleinen Spitälern vermeintlich Argumente in die Hand gibt, darf dies nicht zum Dauerzustand werden. Qualität und Finanzierbarkeit können in kleinen Spitälern auch in Zukunft nur selten gewährleistet werden. Dr. Gattiker wünscht sich zudem, dass das System renditefähig gemacht werden sollte. Dazu gehört, dass die Spitäler auch personell schlanker werden. Durch die Pandemie zeigt sich zudem, dass die Leistungserbringer (Hausarztpraxen, Spitäler etc.) noch nicht optimal vernetzt sind. Hier fehlt es noch deutlich an der Digitalisierung.
Denkt man über ein Gesundheitssystem der Zukunft nach, gehört dazu auch die Finanzierung. Für Pharma und Medtech wünscht sich Dr. Gattiker die Einkaufsmacht bei einem starken Spitalverbund, freie Preisbildung und die Möglichkeit des Parallelimports. Andreas Faller, Rechtsanwalt und Verwaltungsratsmitglied des Kantonsspitals Aarau, sieht die aktuelle Zusatzversicherungs-Systeme als veraltet und erodierend. Damit ist die Ertragsstruktur der Spitäler existenziell gefährdet. Deshalb fordert er neue Zusatzversicherungs-Modelle, die echte Mehrwerte für Patientinnen und Patienten schaffen.
Bis wir beim idealen Gesundheitssystem angekommen sind, wird es noch lange dauern. Zumal das ideale Gesundheitssystem für jeden anders aussehen wird. Neue Spitäler werden JETZT geplant und gebaut. Wie gehen diese mit der Anforderung der Zukunftssicherheit um?
Spitalplanung ist Logistikplanung
Flexibilität in Planung und Bau wird im Rahmen der Konferenz häufig diskutiert. Prof. Linus Hofrichter, der zurzeit mit seinem Büro a|sh Architekten, das neue USZ mitgestaltet, fordert Einzelzimmer in der Grösse für zwei Betten, gegebenenfalls mit einer Schiebetür zum Nachbarzimmer. So kann flexibel aus einem Einbettzimmer bei Bedarf ein Vierbettzimmer werden.
«Spitalplanung ist Logistikplanung», sagt Prof. Hofrichter. Fünf bis zehn Lkw fahren täglich zum USZ. Hier kann noch viel optimiert und automatisiert werden. Die üblichen Führerlosen Transportsysteme (FTS) hält Prof. Hofrichter noch für zu langsam, um eine effiziente Versorgung zu gewährleisten. Selbstfahrende Lkw, Roboter auf den Stationen und Drohnen für den Transport innerhalb des Spitals werden schon längst eingesetzt – in Japan. Allerdings braucht man nicht so weit zu schauen. In Europa, im Akershus University Hospital in Oslo, Norwegen, wird bereits seit einigen Jahren auf die Just-in-time-Versorgung gesetzt. Diese reicht bis ins Patientenzimmer und macht grosse Lagerflächen auf den Stationen überflüssig. Voraussetzung dafür ist natürlich eine stabile Versorgungskette und das Vertrauen der Mitarbeitenden in die Zuverlässigkeit der Versorgung. Auch das USZ prüft zurzeit diese Möglichkeiten. Unit-Dose-Automaten sind im USZ geplant und Weiteres wird mit Sicherheit folgen. In Lugano werden bereits jetzt Blutproben per Drohne transportiert.
In Zukunft gestalten
Interessant ist, dass trotz (oder wegen) der klaren Ausrichtung auf hoch spezialisierte Technik, Effizienzsteigerung und Optimierung der Abläufe ein klarer Trend zur «Wohnlichkeit» zu beobachten ist. Das Spital der Zukunft wird auch «schön» sein. Das Spital soll nicht mit Krankheit assoziiert werden, es soll nicht riechen wie ein Spital, es soll nicht aussehen wie ein Spital (bisher). All dies, obwohl sich die Liegezeiten stetig verkürzen (in Dänemark ist man inzwischen bei 3.5 Tagen). Warum also ein Spital wohnlich gestalten? Natürlich auch für die Tausenden von Menschen, die darin arbeiten. Aus eben diesem Grund werden beispielsweise die OPs im USZ alle mit Tageslicht gebaut.
Wegeleitung
«Der Zukunft eine Form geben», fordert auch Beate Kling, Signaletikerin aus Deutschland. Die Signaletik, also die Führung der Personen durch das Gebäude, vereint die zukunftsfähige Kombination von Technik und Design. Einerseits wird die Signaletik durch die Digitalisierung flexibler, andererseits trägt sie stark zur Gestaltung des Gebäudes und damit zum Image des Betreibers bei. Aus diesem Grund ist die Signaletik auch nicht einfach nur eine Wegeleitung, sondern sollte möglichst früh bei der Planung eines Gebäudes berücksichtigt werden. Prof. Hölscher von der ETH Zürich war der Konferenz aus Singapur zugeschaltet. Mit seinem Team erforscht er Wege im Spital. Die heutige Rechenleistung und 3-D-Modellierung erlauben es, die Wege, die Menschen gehen, genau zu modellieren. Besonders in Spitälern ist dies hilfreich. Durch Simulation können Engpässe so schnell erkannt werden und auch beispielsweise Stellen mit erhöhtem Lärmpegel.
Digitalisierung – Zwischen Fax und künstlicher Intelligenz
Das Luzerner Kantonsspital ist der Schweiz weit voraus, was die Digitalisierung betrifft. Viel beachtet war die Einführung des neuen IT-Systems im vergangenen Jahr. Der automatische SelfCheck-In ist installiert und wird viel und gerne genutzt. Stefan Hunziker, Leiter IT des LUKS, wünscht sich noch mehr Digitalisierung. Die Reinigung der Zimmer durch Roboter wäre problemlos möglich. Patienten könnten – wie auch in anderen Ländern schon üblich – Tablets bekommen (oder ihre eigenen mitbringen), um sich im Spital zu informieren. Ausserdem fordert er – völlig zu Recht – eine Konvergenz der Technologien. Für die Zukunft werden die Schnittstellen in der Tat enorm wichtig. Nicht nur die Schnittstellen zwischen verschiedenen technischen Systemen, sondern Menschen, die zwischen reiner Technik und deren Anwendungsgebieten vermitteln können. Dr. Sebastian Krammer, Ärztlicher Leiter im LMU Klinikum München und Nicolas Jakob, sein Technischer Leiter, sind ein solches «Dream-Team». Gemeinsam haben sie ein selbstlernendes System zu vollständig automatisierter Diagnostik in der Dermatologie entwickelt.
Fazit
Natürlich weiss niemand, wie die Zukunft aussieht. Noch im Januar hat sich sicher jeder noch einen ganz anderen Jahresverlauf vorgestellt. Aber die Weichenstellungen sind klar: Mehr Digitalisierung. Die IT wird Routine-Abläufe – auch im medizinischen Bereich (siehe oben, die Diagnose) – noch stärker unterstützen. Der Unterschied zwischen ambulanter und stationärer Versorgung schwindet, weil physische Präsenz weniger wichtig wird. Die Patienten, die dann noch im Spital sind, sind durchschnittlich kränker als heute. In Zukunft erwartet uns eine weitere Verringerung der Bettenzahl und eine Vergrösserung der Intensivstationen. Flexibilität ist die Basis der Zukunftsfähigkeit.
Erschienen in der Fachzeitschrift Heime und Spitäler (Ausgabe 5 / Dezember 2020). Den Artikel als PDF herunterladen.