Eindrücke einer Studienreise: Krankenhausbau in den Niederlanden als kreative Vorlage für Projekte, Vorhaben und Modernisierungen
Die Kunst des Krankenhausbau
Ende der 1960er Jahre wurde in den Niederlanden für fünf neu zu realisierende Universitätskliniken ein Masterplan im Auftrag des Wissenschaftsministerium erstellt: Amsterdam (AMC), Utrecht, Leiden, Groningen und später noch Maastricht. Basis war die Entwicklung von Strukturen und Standards, die den Innovationen in der Medizin, den höheren Ansprüchen von Patienten und Personal und der sich weiterentwickelnden Technik Rechnung tragen. Diese Grundlagen wurden weiterentwickelt und haben ebenso den Bau von Allgemeinkrankenhäusern mit bestimmt.
Fachlich von Jürgen Kmiecik begleitet, Präsident des Verbands unabhängiger Medizin- und Labortechnikplaner, machten Mitte 2014 Krankenhausdirektoren und -architekten eine Studienreise in die Niederlande und nach Belgien. An sechs Tagen wurden elf Krankenhäuser
besichtigt. Besonders beeindruckt haben die Gestaltung der öffentlichen Bereiche und die hohe Wertschätzung von Kunst in fast allen Häusern.
In den Niederlanden geht der Trend inzwischen zu Einzelzimmern. Man richtet sich hier nach internationalen Untersuchungen: Sie zeigen, dass sich der Patient in einem eigenen Raum schneller regeneriert. Auch die Möglichkeit, dass Angehörige übernachten können, wird gerne genutzt. Außerdem reduzierten Einzelzimmer nosokomiale Infektionen und Medikationsfehler. Bemerkenswert war der hohe IT-Standard, die interdisziplinär genutzten Untersuchungs- und Behandlungsbereiche der Polikliniken mit Front- und Backoffice-Systematik sowie die Tatsache, dass in vielen Häusern die Türen zu den Bettenzimmern permanent offen standen – von den Patienten so gewünscht.
Krankenhaus-Eingangshalle mit Bars, Cafés und Supermarkt
Das University Medical Center in Groningen (UMCG) baute aufwändig im Bestandsgelände. Die Universitätsklinik beschäftigt mehr als 10.000 Mitarbeiter und verfügt über 1.300 Betten. Die Bedürfnisse der Patienten und der dort arbeitenden Menschen wurden beim Bau ausdrücklich in den Vordergrund gestellt. Dies führte zu einem ganz besonderen Gebäude, einem Klinikum mit überraschendem Inneren:
Der Haupteingang erinnert an eine Bahnhofshalle – ein großer Raum mit Bars, Cafés und einem Supermarkt. Auch der Rest des Erdgeschosses
besitzt nicht die Atmosphäre eines sterilen Krankenhauses: Interne Straßen mit Bänken, Brunnen, Höfen und Terrassen geben das Gefühl, einen Spaziergang zu machen. Eindrucksvoll ist das Glasdach über der Magistrale, das sich öffnen lässt.
Auf der Außenseite des zentralen Gebäudes sind die neun Bettenhäuser angeordnet. Rechteckige Blöcke im Erdgeschoss beherbergen die Polikliniken, darüber befinden sich die Pflegebereiche. Für die Gestaltung der Bettenhäuser wurde Architekt Kleinjan von Team 4 herangezogen. Er brach mit der Standard-Idee langer, gerader Korridore: Die Bettenzimmer sind auf der Außenseite des Gebäudes angeordnet. Dadurch haben die Patienten überall Aussicht auf die umliegende Stadt. Die unterstützende Logistik (Toiletten, Lagerräume, etc.) sind im zentralen Teil des Hauses platziert.
Krankenhaus mit Bauhöhe von bis zu 120 Metern
Ein anderes, sehr spannendes Haus ist das Erasmus Medical Center in Rotterdam. Der letzte Bauabschnitt wird voraussichtlich 2017 fertiggestellt sein, insgesamt kostet die Baumaßnahme im Bestand ca. eine Milliarde Euro. Das Krankenhaus hat eine kompakte Baustruktur, die Bauhöhe variiert zwischen 50 und 120 Meter. Große Atrien kennzeichnen das Gebäude. Sie tragen zu einem angenehmen Aufenthaltsklima bei und teilen das Krankenhaus übersichtlich ein. Es ist mit den anderen Gebäuden über eine Magistrale verbunden. Bei der Planung und beim Bau des Hauses wurden, soweit wie möglich, die (künftigen) Bedürfnisse und Wünsche der Patienten berücksichtigt. Dies reflektiert nicht nur die
innere Aufteilung des Gebäudes (Patienten und Besucher finden schnell ihren Weg), sondern auch die Gestaltung der öffentlichen Räume – bis hin zu den Pflegebereichen mit Einbettzimmern und zum Pflegekonzept. Die patientengerechte Versorgung wird mit festumschriebenen Behandlungspfaden für spezielle Krankheitsbilder oder homogene Patientengruppen realisiert. Bei der thematischen Einrichtung der Pflege entschied man sich für sechs Themen: 1. Gehirn und Sinnesorgane, 2. Onkologie, 3. Immunität, Metabolismus und Alterung, 4. Akutversorgung und Bewegungsapparat, 5. Zirkulation sowie 6. Wachstum, Entwicklung und Reproduktion.
Lange Nutzungszeiträume für mehr Nachhaltigkeit
Mit seiner robusten und flexiblen Gestaltung und seinem zeitlosen Design geht man von einer sehr langen Nutzung des Gebäudes aus. Durch die kompakte Bauweise konnte man nach dem Abriss der bestehenden Gebäude zusätzlichen Raum für neue Aktivitäten auf dem Gebiet der Patientenversorgung, der wissenschaftlichen Forschung und Ausbildung gewinnen. Bei der Energieversorgung entschied sich das Erasmus Medical Center bereits 2008 für eine zu 100 Prozent ,grüne‘ Stromversorgung. Des Weiteren wurde auf dem Areal in 180 Metern Tiefe ein Kälte/Wärme-Speicher für die Heizungs- und Klimaanlage vorgesehen. Die Umsetzung von Gründächern und für Patienten und Besucher frei zugänglichen Dachgärten schuf zusätzliche Aufnahmekapazität für Regenwasser. Die begrünten Dächer besitzen eine Oberfläche von 12.500 m² (ca. zwei Fußballfelder).
Krankenhausbau nach dem IFD-Prinzip
Das Martini Ziekenhuis in Groningen wurde nach dem IFD-Prinzip (industriell– flexibel – demontierbar) realisiert. Healing Environment war ein
weiterer Schwerpunkt. Dazu wurde neben einem Farbgestaltungskünstler auch ein Umgebungspsychologe an der Planung beteiligt. Eine Palette von 17, teilweise sehr grellen Farben findet überall im Gebäude Anwendung. Das industrielle Konzept basiert auf Standardisierung: Sowohl das Gebäude als Skelett, das aus einheitlichen Bausteinen besteht, als auch die Wandpaneele und Systemwände sind komplett vorgefertigt. Alle Räume sind auf einem Standardraster aufgebaut, auch die Leitungsschächte sind standardisiert. Nur die sehr technischen Abteilungen wie Röntgen- und chirurgische OP-Abteilung erhielten besondere Räumlichkeiten. Das Gebäudekonzept führt zu Flexibilität auf allen Ebenen. Eine Erweiterung des Gebäudes kann als ,Schublade‘ hinzugefügt werden und dieses so ohne bauliche Veränderung um zehn Prozent vergrößert werden. Eine Station lässt sich leicht in Klinik- oder Büroräume umwandeln. Trennwände und Estrich sind demontierbar, sodass auch die Funktion geändert werden kann. Die Struktur des Martini Ziekenhuis besteht im Prinzip aus zwei Schlangen, die sich an zwei Punkten berühren (Treppen und Lifte). Diese kompakte Struktur ermöglicht viele funktionale Beziehungen – wenn nötig sogar die Vermietung von Gebäudeteilen.
An Terminaldesign und Logistik von Flughäfen orientiert
Im Deventer Ziekenhuis konnten die leitenden Ärzte ihre Fläche (Backoffice) für sich und ihre Mitarbeiter selbst aufteilen. Dieser Bereich ist hoch digitalisiert: Die Daten der Patienten werden mit Ausweis und Foto an der Rezeption erfasst und direkt elektronisch an die entsprechende Abteilung weiterge geben. Interessant am Krankenhaus ist auch, dass sich die Architekten (de Jong gortemaker algra, Rotterdam) am Terminaldesign und der Logistik von Flughäfen orientierten. Die Patientenströme wurden in akut, chronisch und regulär klassifiziert, woraus eine Kammstruktur der Gebäude resultierte.
Das Jeroen Bosch Krankenhaus hatte es sich zum Ziel gesetzt, das patientenfreundlichste Krankenhaus der Niederlande zu werden: überall Tageslicht (sogar im Technikgeschoss), ein Self-Check-in für die Patienten, in die Decken integrierte Patientenlifte, Kunstwerke in großem Rahmen (es finden sogar extra Kunstführungen durch das Haus statt) etc. Als Basis für den Entwurf diente eine umfangreiche Analyse der Organisation. Dazu wurden ausführliche Gespräche mit 50 verschiedenen Nutzergruppen geführt. Die Ergebnisse und internationale Erfahrungen auf dem Gebiet des Klinikbaus und der Klinikorganisation waren Zielvorgaben für die Realisierung. Dazu legte man Wert auf Nachhaltigkeit und Effizienz: Die Fassade wurde aus vorgefertigten Bauteilen erstellt, der Schutt abgerissener Gebäuden zum Pflastern der Wege verwendet.
Das Meander Medisch Centrum in Amersfoort setzt komplett auf Einzelzimmer. Neben der Funktionalität spielten beim Entwurf auch die Patienten (Healing Environment) und Besucher eine zentrale Rolle. Die Klinik sollte Gastfreundlichkeit und eine angenehme Atmosphäre ausstrahlen. Das ist dem Architekten Hans van Beek von atelier PRO gelungen. Seine Vision von Maß, Interaktion, Räumlichkeit, Farbe, Materialien und Einfügen in die Umgebung ließ in Abstimmung mit dem Auftraggeber ein besonderes Krankenhaus entstehen. Der Einsatz vieler Naturmaterialien (Bambus) schuf eine schon fast exotische Atmosphäre. Der Bau des neuen Meander Medisch Centrums begann im August 2010. Es wurde 2013 fertig gestellt und verfügt über eine Bruttogeschossfläche von ca. 100.000 m² und 600 Betten. Man errichtete nach Nutzung ausgerichtete, miteinander verbundene Gebäude:
- Haus Untersuchung und Behandlung,
- Haus Pflege,
- Haus Verwaltung und
- Haus Psychiatrie.
Die Zwischenräume wurden mit Glas überdacht, wodurch ein witterungsgeschütztes, passagenartiges Erschließungssystem entstand. Die Parkplätze befinden sich unter dem Gebäude, so dass Patienten, Besucher und Personal von dort direkt ins Gebäude gelangen können.
Hohe Flexibilität durch gleiche Raummodule
Das St. Antonius-Krankenhaus in Utrecht ist ein Haus von 148 Betten, es hat ebenfalls einen hohen Anteil an Einzelzimmern. Noch bestehende Vier-Bett-Zimmer sind zum Umbau in Einzelzimmer vorbereitet. Sein modularer Aufbau – das gesamte Krankenhaus besteht aus identischen Modulen von 14,4 × 36 m – ermöglicht zukünftige Erweiterungen. Es gibt Hauptachsen in zwei Richtungen, Innenhöfe mit Tageslicht und einen zentralen Liftblock. Aufgrund seiner Struktur ist auch dieses Gebäude sehr flexibel. Das Orbis Medical Center in Sittard gilt – obwohl bereits 2009 fertiggestellt – immer noch als eines der modernsten Krankenhäuser Europas. Es besitzt einen hohen IT-Standard, verfügt ausschließlich über Einzelzimmer inklusive Übernachtungsmöglichkeit für Angehörige und löste die traditionellen Arztdienstzimmer durch Zusammenfassung der Flächen zu einem großzügigen Kompetenzzentrum auf. Die Grundidee war hier: Die Prozesse definieren und das Gebäude um die Prozesse herumbauen. Es wurde Wert auf eine modulare Bauweise und Standardisierung gelegt. Dass auch das Design eine große Rolle spielt, ist überall zu sehen. Einige der niederländischen Häuser werden auf der 4. Fachkonferenz von Blezinger Healthcare von den Architekten vorgestellt. Die Veranstaltung mit dem Thema ,Strukturen des Spitals der Zukunft‘ findet vom 16. bis 18. Oktober 2014 in Luzern, Schweiz, statt; Anmeldeschluss ist der 10. Oktober.
Erschienen in der Fachzeitschrift Krankenhaus Technik + Management (Ausgabe 10 / Mai 2014). Den Artikel als PDF herunterladen.