In nächster Zeit werden europaweit viele neue Alters- und Pflegeheime gebaut. Menschen werden älter. Was wird in Zukunft benötigt? Wie können und wollen wir im Alter leben? Wichtige Fragen, die bereits heute für die Planung des Alters- und Pflegeheims der Zukunft von Bedeutung sind.
Das Alters- und Pflegeheim der Zukunft
Die bestehenden Alters- und Pflegeheime wurden oft noch frei nach den Ideen der Betreiber und Architekten gestaltet. Mittlerweile setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass verstärkt auf die Bedürfnisse der Bewohner geachtet werden sollte. Inzwischen liegen valide Forschungsergebnisse dazu vor, wie alte und/oder kognitiv eingeschränkte (z. B. demente) Menschen ihre Umgebung wahrnehmen (können). Es geht also nicht mehr nur allein um die Qualität der Pflege, sondern auch um die Lebensqualität der Bewohner.
Die alternde Bevölkerung
Der Altersquotient, das heisst die Zahl der Personen ab 65 Jahren pro hundert 20- bis 64-Jährige, erhöht sich von 27,5 im Jahr 2010 auf 53,1 im Jahr 2060. Laut Bundesamt für Statistik wurden 2010 140 000 Menschen in Alters- und Pflegeheimen betreut. Im Jahr 2030 könnten in der Schweiz bereits 230 000 Menschen leben, die auf Pflege angewiesen sind. Zurzeit finden interessante Diskussionen über die Zukunft des Alters- und Pflegeheims statt. Verschiedene Modelle werden realisiert oder sind in Planung. Im Prinzip gibt es folgende Möglichkeiten:
Inklusion: Alte und/oder demente Menschen leben zusammen mit jungen Menschen verschiedener Generationen.
Exklusion: Alte und/oder demente Menschen leben in separaten/eingezäunten Bereichen.
Beide Modelle und die Variationsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, haben Vor- und Nachteile. Es lohnt sich jedoch, den Blick über den Tellerrand zu wagen und die verschiedenen Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, genauer zu betrachten.
Kleinmassstäbliche Wohnformen Niederlande
In den Niederlanden wird zurzeit die sogenannte kleinmassstäbliche Wohnform diskutiert beziehungsweise bereits gebaut. Dieses Modell unterstützt das Bedürfnis vieler Menschen, so lange wie möglich selbstbestimmt und im «eigenen» (wenigstens so weit wie möglich privaten) Wohnraum zu leben. Das Architekturbüro Wiegerinck aus Holland hat dazu einige Modelle entwickelt: Aus den «Bausteinen» eines normalen Hauses (Eingang/Flur, Wohnzimmer, Küche, Bad, Schlafzimmer, Garten/Terrasse) wurden Modelle für Wohngruppen (Gruppengrösse: 6–8) entwickelt, in denen sich die Bewohner möglichst heimisch fühlen sollen. Ein interessanter Aspekt dabei ist, dass bei den alten und/oder kognitiv eingeschränkten Menschen oft das Bedürfnis nach Privatsphäre abnimmt, es für die Angehörigen aber wichtig ist, dass Oma einen eigenen Raum hat. Auch Überlegungen dieser Art fliessen in die Konzepte
ein.
Future Sølund Dänemark
In Dänemark wird zurzeit das grösste und visionärste Alters- und Pflegeheim des Landes gebaut. Hier wird auf ein Zusammenleben in unterschiedlichen Gebäuden gesetzt. Die Tagespflege ist dabei auf der ruhigsten und sonnigsten Seite angelegt, mit Blick auf einen kleinen Park mit See. Die Altenwohnungen sind alle mit eigenen Vorgärten im Erdgeschoss platziert. Die Wohnungen für Jüngere befinden sich in einem separaten Gebäude, das einen privaten Zugang von der Strasse zum Alters- und Pflegezentrum bildet.
Heidelberg Village Deutschland
Noch weiter in Richtung Inklusion geht das preisgekrönte Modell des Heidelberg Village, das zurzeit in Deutschland gebaut wird. Gerontologische Erkenntnisse, die zeigen, dass es für ältere Menschen besonders wichtig ist, dass sie sich auch um andere, jüngere kümmern können, sollen in dem Wohnkonzept berücksichtigt werden. Auf rund 15 000 Quadratmetern werden 162 Wohneinheiten in einem besonderen Quartierteil entstehen, der sowohl durch seinen bautechnischen Facettenreichtum als auch als nachhaltiger Lebensraum überzeugen will. Es werden Service-, Pflege- und Betreuungsleistungen für alle Menschen des Quartiers angeboten. Egal, ob pflegebedürftig oder nicht. Eine eigene Vermietungsgesellschaft wacht darüber, dass Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft, genauso wie Menschen mit und ohne Behinderung einziehen. www.heidelberg-village.de
Einsatz von Technik
Auch wenn sich alte Menschen oft schwer tun mit moderner Technik, kann sie doch zu ihrem Nutzen eingesetzt werden. Die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat vor vier Jahren eine Studie veröffentlicht, nach der sich die Bewohner durch elektronisch höhenverstellbare Elemente in der Nasszelle selbständiger bewegen konnten. Hilfestellungen beim Aufstehen und Hinsetzen entfielen fast komplett. Das Pflegepersonal konnte effizienter eingesetzt werden. Dies wird vor allem in Hinblick auf die Personalknappheit in Zukunft deutlich an Bedeutung gewinnen. Der Einsatz der neuen Technologien verlangt von den Verantwortlichen Weitsicht und Wissen in diesem Bereich, das man sich möglichst frühzeitig aneignen sollte. Zudem ist eine durchdachte Einbindung oder Zusammenführung der neuen Assistenztechnologien mit den vorhandenen Standardlösungen wichtig.
Mit der modernen Technik kann auch der Lichteinsatz individueller gestaltet werden. Im Vorzeigeprojekt Sonnweid in Wetzikon wurden im Neubau circadiane Lichtquellen installiert, um den Tagesablauf der Bewohner unterstützend zu strukturieren. Doch nicht nur beim Einsatz in Alters- und Pflegeheimen wird die Technik in Zukunft eine grössere Rolle spielen, sondern auch dabei, dass der Auszug aus dem eigenen Haus verhindert oder zumindest deutlich verzögert werden kann. Notfallknöpfe, die am Körper getragen werden, sind inzwischen jedem bekannt. In Zukunft werden vielleicht SmartWatches diese Funktion unauffällig übernehmen. Bereits heute sind Sensoren, die im Haus angebracht werden, eine sichere und bezahlbare Alternative zum Aufenthalt im Heim. Sogar ohne direkte Aktion der Bewohner kann so automatisch ein Alarm ausgelöst und Hilfe angefordert werden. Doch woher kommt die Hilfe? Wer übernimmt die qualifizierte Überwachung? Hier könnten sich zukünftig die Alters- und Pflegeheime engagieren. Sie kennen die Bedürfnisse dieser Personengruppe am besten.
Erschienen in der Fachzeitschrift Heime und Spitäler (Ausgabe 2 / Mai 2016). Den Artikel als PDF herunterladen.