▶ DR. SYLVIA BLEZINGER
Die drängendsten Fragen für die Kaderpersonen im Gesundheitswesen sind im Moment: Wie richten wir uns für die Zukunft aus (wer sind unsere «Kunden»?) und können wir dafür genügend Fachpersonal rekrutieren? Die Initiative gegen die Personenfreizügigkeit wurde glücklicherweise abgelehnt. Das Problem ist dennoch nach wie vor präsent.
Bedarfs- und Kapazitätsmanagement sind Begriffe, die ursprünglich aus dem Automobilbau stammen. Tatsächlich bedeutet das integrierte Kapazitätsmanagement eine vollständige Neubewertung eines Unternehmens. Diese führt letztendlich zu einer Leistungsoptimierung und einer dauerhaften Kostensenkung. Notwendige organisatorische Änderungen können relativ schnell und im Rahmen des vorhandenen Budgets implementiert werden. Auch aus diesem Grund ist ein Kapazitätsmanagement im Sinne einer effizienten Betriebsführung für Heime und Spitäler sehr interessant.
Planbarkeit in Heimen und Spitälern
«Leider können wir nicht planen. Es ist schliesslich unvorhersehbar, welche Notfälle hereinkommen (Spital), welche Bewohnerin geht/dazu kommt (Pflegeheim)». Dies sind Sätze, die häufig fallen. Ist es wirklich so? Die Nachfrage bei einem der bekanntesten niederländischen Kapazitätsmanager im Gesundheitswesen, Ron Hendricks, ergibt das Gegenteil: «Wenn die Autoindustrie so genau planen könnte wie ein Spital, wäre sie glücklich», sagt Ron Hendricks. Vor zehn Jahren hat er das Kapazitätsmanagement beim Orbis Medical Center (heute: Zuyderland Kliniken) eingeführt und damit substanziell dazu beigetragen, dass es noch immer als eines der modernsten Spitäler Europas gilt. Und das mit 17 Prozent weniger Personal- und 40 Millionen Euro niedrigeren Baukosten als budgetiert. Der soeben eröffnete Neubau des Waldklinikums Eisenberg in Deutschland ist ebenfalls ein gutes Beispiel. Zuerst wurden die Prozesse mit Unterstützung von Ron Hendricks geändert, dann der Neubau entsprechend den optimierten Prozessen geplant und realisiert. Kürzlich gewann das Spital zum zweiten Mal hintereinander die Auszeichnung zum besten Krankenhaus Deutschlands (Kategorie 150 – 300 Betten). Was ist das Geheimnis? Ron Hendricks nennt es verschmitzt den GMV-Faktor. Den «Faktor des Gesunden Menschenverstands». Konkret bedeutet dies, Entscheide auf Basis von Fakten und Zahlen zu fällen.
Wie sieht es nun mit der Planung im Gesundheitswesen wirklich aus? Sehen wir uns die Zahlen an.
Im Spital gilt:
❱ Über 96 Prozent der Anzahl Patienten pro Jahr ist gleich und damit vorhersehbar
❱ Über 96 Prozent Behandlungen sind gleich und damit vorhersehbar
❱ Über 93 Prozent der täglichen Aktionen sind identisch
❱ Die Anzahl unterschiedlicher Aktionen ist kleiner als 18 pro Tag (meistens kleiner als 14)
❱ Geplante Warte- und Zugangszeiten könnten 0 sein
❱ Notfall ist vorhersehbar, reduzierbar und regulierbar
Daraus folgt: Das Personal muss nicht zu 100 Prozent flexibel sein. Es genügt lediglich eine Flexibilität von etwa 3 Prozent!
Kapazitätsmanagement als neue Unternehmens-Philosophie
Wie also kann man ein Kapazitätsmanagement implementieren? Kapazitätsmanagement ist nicht einfach ein Werkzeug oder etwas, das der bestehenden Organisation aufgezwungen wird, sondern sozusagen «eine neue Lebensweise». Diese erfordert zunächst die Vorbereitung durch Recherche: Datenanalyse und Planungsanalyse. Die notwendigen Zahlen sind meist vorhanden, sie werden nur viel zu selten genutzt. Die Zeit und Ressourcen, um die Zahlen auszuwerten, sind ein gutes Investment.
Anschliessend werden die zugewiesenen Ressourcen bewertet und aktualisiert, ebenfalls basierend auf Daten und Fakten. Bei Patientenprozessen hat jede Organisation ihre ganz eigene Arbeitsweise. Worauf basiert diese? Die häufige Antwort der Einrichtung: «So machen wir es hier nun einmal.» Das kann gut sein, sie bewährte sich schliesslich über Jahre. Nur: Ist sie noch zeitgemäss? Und vor allem: Trägt sie zukünftige Veränderungen? Eine Optimierung ist fast immer angebracht.
Wichtig ist die Frage, inwieweit die Tätigkeiten standardisiert werden können. Arbeitsweise, Disziplin, Abläufe, Bereichsstrukturen eignen sich für eine Standardisierung. In der Pflege gibt es häufig nicht mehr als zwölf unterschiedliche Tätigkeiten pro Tag (siehe Box Typische Tätigkeiten auf S.28).
Klare und eindeutige Rollen und Verantwortlichkeiten sind häufig nicht vorhanden, können aber schnell und einfach eingeführt werden.
Erst dann beginnt der Entwurf einer neuen Patienten-Kapazitäts-Personal-Planung. Hier erfordert es viel Mut, um tatsächlich Personal zu reduzieren. Die Umsetzung geht dann schon fast allein und aktualisiert den Geschäftskontroll- und Überwachungszyklus. Zuletzt führt ein Kommunikations- und Informationsplan zur dauerhaften Implementierung. Damit ist gleichzeitig das Spital oder Heim besser «unter Kontrolle». Und für einen allfälligen Neu- oder Umbau ist die Vorarbeit hierfür bereits erledigt.
Erschienen in der Fachzeitschrift Heime und Spitäler (Ausgabe 4 / 2020). Den Artikel als PDF herunterladen.