Neue Geschäftsmodelle und Prozessoptierung erfordern zukunftsfähige Gebäudestrukturen.
Mit der Einführung der Fallpauschale (DRG) im Jahr 2003 halbierte sich die durchschnittliche Verweildauer auf 7,7 Tage im Jahr 2011 (Destatis), Tendenz weiter fallend. So ist ein merklicher Bettenabbau als Folge der veränderten Rahmenbedingungen zu verzeichnen. Angebote der ambulanten Versorgung decken zunehmend lokal verankerte Gesundheitszentren ab. Immer mehr Operationen finden bereits ambulant statt, im direkten Umfeld der Patienten erfolgt dann ihre Rehabilitation. Prof. Michael Wendt von der Universitätsmedizin Greifswald hält es für sinnvoll, in Zukunft auch der Prävention – als eine der Kernkompetenzen des Krankenhauses – eine größere Rolle einzuräumen.
Konsolidieren durch Spezialisierung und Zentrenbildung
Der vorausschauenden Medizin stehen häufig rückwärtsgewandte Entwicklungen bei Gesundheitsimmobilien gegenüber: Peter Rohner, Geschäftsführer des Schweizer Beratungsunternehmens BEG & Partners, stellt fest, dass bei neuen Vorhaben oftmals „alte“ Krankenhäuser gebaut würden. Meist fehle es an zukunftsweisenden Geschäftsmodellen, oder es ginge um Wunschoptimierung einzelner Nutzergruppen. Nicht nur in der Architektur, auch im Service-Design gelte es darum, neue Wege zu gehen. Die Bedingungen würden sich noch wesentlich verschärfen: Zwar wird aufgrund der alternden Gesellschaft der Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen enorm steigen, die Fallpauschalen – und damit die Erlöse – würden jedoch sinken. „Die Devise für die Zukunft heißt, den Zyklus aus Fähigkeiten, Investitionen, Finanzierung und Betriebserfolg zu beherrschen“, betont Rohner, was bedeute, nicht schneller, sondern anders zu arbeiten.
Christine Nickl-Weller, Architektin mit Fokus Gesundheitsimmobilien und Lehrstuhlinhaberin für das Fachgebiet „Entwerfen von Krankenhäusern und Bauten des Gesundheitswesens“ an der Technischen Universität Berlin sieht einen weiteren Aspekt: So werde sich künftig das immer knapper werdende Personal den besten Arbeitsort heraussuchen und damit Qualität und Ruf des Krankenhauses bestimmen. Ihr Forschungsansatz „Healing Architecture“ unterstreicht den Paradigmenwechsel vom Krankenhaus zur Gesundheitsimmobilie.
Mit innovativen Farbkonzepten oder Hotelambiente allein will sich Tom Guthknecht, Vorstand der Lausanne Health and Hospitality Group, nicht zufriedengeben: Es würden Aspekte wie Prozessoptimierung (z. B. die Auslastung der OPs) und damit die Ressourcensteuerung von Personal, Technik und Raum im Fokus stehen. „Um flexibel auf die Entwicklungszyklen der Medizintechnik von rund drei bis 15 Jahren reagieren zu können, ist eine modulare und industrielle Bauweise notwendig, da von der Planung bis zur Eröffnung bereits fünf Jahre vergehen“, so Guthknecht. Für den finanziellen Erfolg müssten Bau und Betrieb besser verknüpft werden, fordert er. Das Finanzierungsmodell werde dadurch zum Kernbestandteil der Gestaltung.
Prozessorientierung, interdisziplinäres arbeiten und menschenorientierte Führung
Schnittstellen sollten konzeptionell gestaltet und eine Fehlertoleranz bei Investitionskonzepten einberechnet werden. „Wir Planer brauchen dabei die Unterstützung der Ärzte“, so der gelernte Architekt und Berater Guthknecht. Auf der anderen Seite müssten sich Planer mehr Zeit nehmen fürs Zuhören. „Statt ,blinde Kuh‘ mit Ressourcen zu spielen, müssen ordentliche Prozesse definiert werden“, so Guthknecht. Dazu gehörten vier wichtige Schritte: den Arbeitsfluss genau planen, Pufferzonen bei Schnittstellen einarbeiten, nicht an Hilfsmitteln sparen und IT einbinden. Am Anfang seien die Einflussmöglichkeiten am größten, im Verlauf nehmen sie immer weiter ab. „Alles, was nicht schon zu Beginn definiert ist, wird später sehr teuer.“
Sylvia Blezinger, Inhaberin von Blezinger Healthcare, die jährliche Fachkonferenzen zu diesem Thema konzipiert, betont die unbedingte Notwendigkeit interdisziplinären Austausches: „Nur, wenn sich alle Beteiligten, Führungskräfte und Mitarbeiter aus dem Krankenhaus (Medizin und Verwaltung), Planer, Architekten und Industrie untereinander austauschen, ihre Erfahrungen und Kompetenzen einbringen und über den Tellerrand in andere Branchen schauen, lässt sich ein Haus zukunftsfähig gestalten.“ Die Kommunikation mit und das Lernen von „den anderen“ bringe nachhaltigere Ergebnisse als das Fachwissen des einzelnen Experten.
Der Krankenhausbau stecke in einer tiefen Führungskrise, betont Nickl-Weller. Die meisten Krankenhausmanager würden zurzeit auf drei bis fünf Jahre bestellt. Dazu trügen die sog. VOFVerfahren bei, da so in den wenigsten Fällen Wettbewerbe für neue bzw. Erweiterungsprojekte ausgeschrieben werden. „Das einzige messbare Kriterium bei diesen Verfahren ist die Quantität, aber über Qualität wird nicht gesprochen.“ Für die Verwaltung und den Planer zähle nur das kurzfristige Ergebnis, kritisiert die Expertin.
Linus Hofrichter, Inhaber eines der größten Krankenhaus-Architekturbüros Deutschlands, sieht ein Problem darin, dass sich fast nur noch große Architekturbüros überhaupt noch die Teilnahme an Wettbewerben leisten können und dadurch die Gefahr der Konvergenz bei Planungen gegeben ist. Er regt neue Regelungen an, die in Zusammenarbeit von Verbänden und Politik erarbeitet werden sollten. Er fordert außerdem, dass die Richtlinien für private Beteiligungen (PPP-Modelle) klarer werden.
Marke und Umfeld entfalten Strahlkraft
Letztlich geht es um einen strukturellen Umbau: Hierarchien in den Krankenhäusern müssen weiter fallen. Facharztabteilungen sollten aufgelöst werden, stattdessen sorgen zentrale Hightech-OPs für Effizienz. Funktionsbereiche eines zeitgemäßen Krankenhauses stehen damit Komfortbereichen für Patienten – besser gesagt – Kunden offen. Patientensouveränität lautet das Schlagwort: Krankenhausanbieter müssen sich zunehmend dem Wettbewerb stellen. Als hoch spezialisierte Kompetenzzentren (z. B. Herz-Zentren) konzentrieren sie sich zunehmend auf spezielle Eingriffe. Damit wächst die Erfahrung und Professionalität und lässt ein klares Leistungsprofil entstehen und eine Marke aufbauen. Bewertungsportale im Internet geben Interessenten Auskunft über Häufigkeit und Qualität von Eingriffen. Weiche Faktoren wie Ambiente, aber auch individualisierte Ernährungs- und Serviceangebote geraten als Kriterien zur Auswahl eines Hauses stärker ins Blickfeld.
In 15 bis 20 Jahren werden Gesundheitszentren bisherige Krankenhäuser verdrängt haben – analog der Shoppingcenter, die bereits vielerorts etablierten Kaufhäusern die Kundschaft
streitig machen, dessen ist sich jedenfalls Heinz Lohmann sicher: „Wer heute baut, muss gleichzeitig ein attraktives Umfeld und am besten auch ein Betreiberkonzept im Sinne eines Centermanagements entwickeln“, erklärt der Inhaber von Lohmann Konzept, einem auf die Gesundheitswirtschaft spezialisierten Beratungsunternehmen. Potentiale sieht er genau am Übergang von ambulantem zu stationärem Sektor. Statt ein defizitäres Krankenhaus zu halten, eröffneten clevere Landräte lieber ein Gesundheitszentrum und schafften damit Ankermöglichkeiten für strategische Partner.
Erschienen in der Fachzeitschrift Management & Krankenhaus ( Ausgabe 09/2012). Den Artikel als PDF herunterladen.