Das niederländische System ist anders, es ist also nicht alles einfach übertragbar. Am Beispiel der niederländischen Spitäler lassen sich jedoch Möglichkeiten für die zukünftige Entwicklung gut erkennen. In den vergangenen 10 Jahren wurden über 30 Spitäler neu gebaut mit teilweise sehr überzeugenden neuen Konzepten.
Was ist die Ursache für so viele interessante Projekte im niederländischen Gesundheitswesen? Es gibt viele verschiedene Faktoren.
Zunächst: Das politische System ist anders. 2006 führte die niederländische Regierung in einer umfassenden Reform einen regulierten Wettbewerb ein. Seither lohnt es sich für die Spitäler, effiziente Prozesse einzuführen. Zuvor gab es einen riesigen Investitionsstau, so dass inzwischen sehr viele Spitäler ganz neu gebaut sind.
Ausserdem: Es herrscht eine andere Fehlerkultur als bei uns. Die Angst vor dem Scheitern ist geringer, der Mut zum Risiko grösser.
Spital des 20. Jahrhunderts
Ein nach wie vor interessantes Haus ist das Orbis Medical Center in Sittard. Inzwischen 10jährig, kann es weiterhin als das Spital der Zukunft bezeichnet werden. Geplant als das Spital des 20. Jahrhunderts gilt es noch immer als Vorzeigemodell. Vieles wurde richtig gemacht: Noch vor Baubeginn wurden die Prozesse überdacht und neu gestaltet. Das Gebäude wurde entsprechend «um die Prozesse herum» gebaut. Durch die modulare Bauweise wurde maximale Flexibilität erreicht. Durch den Einsatz neuer Medien wurde es weitgehend papierlos. Selbst die Arbeitskleidung wurde mit RFID-Chips ausgestattet.
Die Zahlen aus dem KIS-System werden im Orbis Medical Center regelmässig ausgewertet und die Prozesse damit auf ihre Effizienz kontrolliert. Vor allem auf die Personalplanung hatte dies einen eindrücklichen Effekt: Durch intelligente Auswertung des KIS-Systems und angepasste Personalplanung wurde «Sorgenkind Notfall» von 7 auf 5 Räume und die Wartezeit von 3 Stunden auf 20 Minuten reduziert. Screening und Diagnostik sind im Orbis Medical Center nur noch «Zulieferer». Diese Abteilungen werden nicht in die Prozesse aufgenommen und somit anders angeordnet. Und jetzt ist dieses Vorzeigespital wieder wegweisend: Der Zusammenschluss mit dem benachbarten Atrium Spital zum Zuyderland Medisch Centrum zeigt, dass im Orbis nach wie vor in die Zukunft gedacht wird. Die Prozesse beider Spitäler werden gebündelt und die Effizienz so weiter gesteigert.
Lässt sich die Zukunft planen?
Eine Weiterentwicklung des Orbis Medisch Centrum ist das Meander Medisch Centrum. Gleichzeitig mit den Plänen für den Neubau wurden im Meander die Pläne für mögliche Umbauten und Erweiterungen erstellt und diese beim Neubau berücksichtigt. 2007 wurde das Haus fertig gestellt. Jetzt, 10 Jahre später, werden vier neue OPs benötigt. Diese werden genau dort gebaut, wo sie bereits 2007 vorgesehen waren und fügen sich damit reibungslos in die Prozesse und das Gebäude ein.
Hotel als Ergänzung zum Spital
Auch beim Universitätsklinikum Maastricht (Fertigstellung 2016) wurden gleichzeitig mit den Plänen für den Neubau auch die Pläne für den späteren Umbau/Erweiterung erstellt.
Im Zaans Medisch Centrum wurde – erstmalig in den Niederlanden – Bau und Betrieb outgesourced. Gebaut wurde folgerichtig mit BIM (Building Information Modeling). Die Prozesse wurden bereits 2 Jahre vor dem Bau in «lean» geändert und so gestaltet, dass sie im Neubau möglichst reibungslos einfach weitergeführt werden konnten.
Das Laurentius Ziekenhuis in Roermond besitzt ein angegliedertes «Care-Hotel». Die durchschnittliche Verweildauer beträgt in diesem Spital 4,95 Tage, was immer noch als viel zu hoch empfunden wird. Durch das Care-Hotel wird eine weitere Senkung erhofft. Verglichen mit einer durchschnittlichen Verweildauer in schweizerischen Spitälern von über 8 Tagen ist dies ein bemerkenswertes Ziel. Auch wenn Unterschiede in der Datenerhebung die Zahlen nicht direkt vergleichbar machen, ist dies eine eindrückliche Differenz.
Auch in Bernhoven wurde ein Care-Hotel auf dem Gelände des Spitals gebaut, das Undens duyn. Das Hotel ist ausgelegt auf die Pflege Erwachsener und bietet entsprechende Dienstleistungen an. Es ist gleichzeitig ein Vier-Sterne-Hotel, buchbar über die bekannten Plattformen. Es ist zudem baulich direkt verbunden mit dem Spital, was den pflegebedürftigen Gästen Sicherheit vermittelt.
Logistik – Bereich mit grossem Potenzial
Bereits vier Spitäler in den Niederlanden – und möglicherweise auch bald das Universitätsspital Zürich – setzen bei der Abfallentsorgung auf eine bisher noch weitgehend unbekannte Technik, die die Abfallentsorgung revolutionieren könnte. Der Abfall (auch Spritzen und Bettpfannen) wird bereits dort, wo er anfällt – zum Beispiel direkt auf den Stationen – in Schreddern zerkleinert und zu einer hauseigenen Reinigungsanlage geleitet. Ergänzt wird das System durch Einwegbettpfannen und – Urinflaschen aus Bioplastik. Diese werden ebenfalls einfach ungereinigt in die Abfallbehälter geworfen. Dies wirkt sich natürlich positiv auf den Personaleinsatz und die Hygiene aus.
Eindrückliche Digitalisierung
Zurzeit prüft das Universitätsspital Zürich intensiv, ob das System auch in der Schweiz eingesetzt werden kann. Verschiedene kommunale, kantonale und eidgenössische Instanzen müssen noch ihre Zustimmung erteilen. Eine Machbarkeitsstudie mit Wirtschaftlichkeitsrechnung
wird derzeit erarbeitet. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich nur sagen, dass eine Bewilligung des Pharmafilter-Systems von den zuständigen Ämtern nicht ausgeschlossen wird. Sollte sich dieses System durchsetzen, müsste die Abfalllogistik völlig anders geplant und gebaut
werden.
In den Niederlanden sind viele Spitäler bereits weit gekommen auf dem Weg zum papierlosen Spital. Self-Check-In gibt es fast überall in den neu gebauten Spitälern. Interessant war das Medisch Spectrum Twente: Kein Patiententerminal mehr, sondern ein Tablet auf praktischen und zum Design passenden Tablet-Halter von – tatsächlich (!) – IKEA. Auf dem Tablet sind Apps mit Informationen vom Spital gespeichert.
Zunehmend machen sich Bauherren und Architekten Gedanken über die Wegleitung, die Signaletik. Diese soll für möglichst alle Personen, die sich im Spital aufhalten, geeignet sein. Architekten versuchen oft, die Umgebung in das Gebäude zu integrieren. Bis ins Detail wurde dies im Albert Schweitzer Ziekenhuis in Dordrecht (675 Betten) umgesetzt: Im Spital gibt es Strassen mit klassischen Wegweisern. Ganze Gebäudeteile des Spitals wurden gestaltet wie Gebäude im benachbarten Ort, um einen Wiedererkennungswert in die Architektur einzufügen. Ein Wartezimmer für eine Ambulanz sieht aus wie ein Raum des Simon van Gijn Museums. Komplett mit Herd, Kamin (nicht echt) und Möbeln aus dem 19. Jahrhundert. Ein gewöhnungsbedürftiger Anblick in einem Spital. Auch viele andere Spitäler wurden unter dem Gesichtspunkt des Healing Environment geplant. Ebenfalls den Eindruck einer Stadt wird im Medisch Spectrum Twente vermittelt. Dort ist das eigentliche Spital von einer «Aussenhülle» umgeben. Die Strassen und Plätze innerhalb des Spitals sind damit überdacht, nicht aber klimatisiert. Eines der grössten Allgemeinspitäler der Niederlande, das Isala in Zwolle, ist nach anthroposophischen Gesichtspunkten entworfen. Jeder Baukörper hat eine neue, andere farbenprächtige Optik. Dabei vermeiden die Architekten bewusst das klassische Rechteck und nutzen polygone Formen – selbst bei den Fenstern. Es gibt schräg stehende Aussenwände, innenliegende Galerien, Oberlichter. In jede Richtung bietet sich ein anderes Bild.
Interessante Innenarchitektur
Die neuen Spitäler haben aus Gründen der strengen niederländischen Hygienevorgaben überwiegend Einzelzimmer. Bei den Patientenzimmern sind in den Niederlanden die Türen meist offen. Dies liegt natürlich auch an der offenen Kultur in den Niederlanden. Für die Überwachung vom Gang aus ist das sehr hilfreich. Im Meander Medisch Centrum findet sogar die Behandlung und Untersuchung in den Patientenzimmern oft bei offenen Türen statt. Nur ein Vorhang wird vorgezogen, um die Privatsphäre zu wahren. Die Geräusche vom Flur werden von den niederländischen Patienten als eher angenehm und lebendig empfunden. Das Bad ist durch Schiebetüren in das Zimmer integriert, was die Raumausnutzung deutlich verbessert. Schiebetüren sind generell üblicher in den Niederlanden.
Grossraum-Büros (Neudeutsch: Open space offices) – auch für die Ärzte – sind ebenfalls eher die Regel als die Ausnahme. Diese erhöhen die Flexibilität und verringern den Raumbedarf. Gute Argumente für eine Einführung.
Interessante Ideengeber
Ein neues Spital ist meist besser als ein altes Spital. Allein schon aus diesem Grund – weil in den Niederlanden in den letzten Jahren sehr viel neu geplant und gebaut und viele neue Ideen getestet wurden – sind die Spitäler mit der neuen Architektur und den neuen Betriebskonzepten interessante Ideengeber. Wer neu plant, sei es ein ganzes Spital oder auch nur ein Teilbereich, wird von einem Besuch in anderen Ländern sicher profitieren. Die Niederlande sind dabei nicht nur gut erreichbar, sondern als ebenfalls relativ kleines europäisches Land ein gutes Vorbild.
Erschienen in der Fachzeitschrift Heime und Spitäler (Ausgabe 4 / 2017). Den Artikel als PDF herunterladen.