▶ DR. SYLVIA BLEZINGER
Was kann BIM noch alles, ausser hübsche 3-D-Bilder zu generieren? Und was kann Signaletik noch alles, ausser den Weg zu den Toiletten zu weisen? Und was hat das alles mit konkreten Einsparungen zu tun?
Die für den Bau zuständigen Personen des Felix-Platter-Spitals baten uns 2013, kurzfristig – noch vor dem Wettbewerb für den Neubau – eine Konferenz zum Thema BIM (Building Information Modeling) zu konzipieren und zu organisieren. Sie planten, das Felix Platter Spital mit BIM zu bauen. BIM wäre bei den Unternehmen noch nicht bekannt und könne deshalb im Wettbewerb nicht gefordert werden. Die Konferenz haben wir organisiert. Heute steht der Neubau des Felix-Platter-Spitals. Mit BIM gebaut. Und inzwischen ist BIM auch in der Welt des Spitalbaus eine bekannte Grösse. Endlich. Allerdings gibt es noch sehr viel Potenzial.
Signaletik ist mehr als nur Beschilderung
Signaletik ist Wegeleitung, ist Orientierung, ist weit mehr als nur ein System zur Beschilderung von Wegen. Sie deckt das gesamte Feld der räumlichen Orientierung ab. Signaletik ist ein Werkzeug, um ein Gebäude für jeden Menschen verständlich zu machen. Signaletik ist Informationsarchitektur. Gleichzeitig ist die Signaletik tragende Säule des Corporate Design. Sie vermittelt damit nicht nur Information, sondern auch Identität und Image. Da Signaletik so vieles enthält, ist es sinnvoll, diese möglichst früh beim Bau oder Umbau mit einzuplanen. Hier kommt BIM ins Spiel.
Modellierung von Wegen
Im sogenannten Digitalen Zwilling, dem digitalen Modell eines geplanten Gebäudes, können Fragen untersucht werden, die sich bei einem Bau zwangsläufig ergeben. Ein modelliertes Gebäude enthält natürlich auch modellierte Wege.
❱ Gibt es genügend Fluchtwege und sind sie an den richtigen Stellen?
❱ Reichen die Kapazitäten von Treppen, Fluren, Kreuzungspunkten aus?
❱ Wie und wohin bewegen sich die Menschen im Gebäude und wie lange brauchen sie?
❱ Welche Wege werden hauptsächlich genutzt?
❱ Sind alternative Wege wünschenswert?
❱ Was passiert, wenn…..?
Die Antworten auf diese Fragen machen die notwendige Wegeleitung besser planbar.
Simulation mit Modellpersonen
Hoch interessant ist eine aktuelle Forschung der ETH Zürich zum Thema Signaletik und Architektur. Ein bekanntes Werkzeug zur Datenerhebung sind spezielle Eye-Tracking-Brillen. Diese Brillen zeichnen die Bewegung der Augen auf. Dadurch erkennen die Wissenschaftler Punkte, die Probanden intensiver oder häufiger betrachten. Dieses Werkzeug ist nicht neu. Damit arbeiten viele Unternehmen und Hochschulen. Neu ist, dass die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Christoph Hölscher Eye-Tracking-Brillen jetzt auch in virtuellen Gebäuden einsetzt. Und sie gehen noch weiter: Die Forscher haben sogenannte Model Agents, Modellpersonen, für den Einsatz in virtuellen Gebäuden entwickelt. Ein interessantes Detail: Für die Programmierung der Modellpersonen orientieren sich die Forscher an den Avataren in Computerspielen. Sie machen Fehler, haben ein schlechtes Gedächtnis, sind emotional (gestresst) und haben eine bestimmte Aufmerksamkeitsspanne. Es ist sogar möglich, kognitiv oder körperlich eingeschränkte Personen zu modellieren. In der Realität ist es schwierig, sich in andere Personengruppen hinein zu versetzten. Virtuell ist es möglich. Model Agent simulieren Menschenmassen oder Leere, die Bewegung auf Kreuzungspunkten und Treppen. Viele weitere Parameter lassen sich im virtuellen Raum berechnen: Wegezeit bei verschiedenen Alternativen sowie die „Zögerpunkte“ (Punkte an denen sich Unsicherheiten über die einzuschlagende Richtung zeigen) und sogar die Temperatur oder Luftqualität (CO2-Gehalt).
Anwendungsmöglichkeiten für BIM und Signaletik
Der Überblick in einem leeren, gut beleuchteten Raum ist klar. Anders sieht es in einem Raum mit vielen Menschen und ohne ideale Beleuchtung aus. Es ist selbstverständlich, dies bei der Planung der Signaletik zu berücksichtigen. Das Modell der ETH vereinfacht dies und eröffnet gleichzeitig neue Möglichkeiten.
Der digitale Zwilling ist das ideale Testgelände für verschiedene Szenarien. Wenn per Mausklick mehr Personen zugefügt werden (sich mehr Personen im Raum aufhalten), verdecken diese Wegweiser oder blockieren Wege, so dass die Menschen auf andere Routen ausweichen.
Ganz zu Beginn einer Planung sind diese Erkenntnisse besonders hilfreich. Dann stehen noch Alternativen zur Auswahl. Sujet 1 und 2 zeigen das simulierte Beispiel alternativer Planungen (Fussnote 1). Welche Auswirkungen hätte ein zusätzlicher Aufenthaltsraum auf der Station? Wege, zwischenmenschliche Interaktionen, Lärmpegel, Personendichte lassen sich so simulieren (Fussnote 2).
Dr. Michal Gath Morad. Leiterin des Forschungsteams „Cognitive Science“ der ETH fordert, Nutzer-zentrierten Simulationen in den Designprozess von Gebäuden zu integrieren: „Form follows experience“. Die Architektur folgt der Anwendung.
Navigation mit dem Smartphone
Es stösst immer wieder auf Unverständnis, dass eine Navigation per Smartphone im Spital nicht genauso gut möglich ist wie im Freien. Die moderne Technik ist tatsächlich noch nicht so weit, dass GPS auch innerhalb von Gebäuden zur Verfügung steht. Was tun?
Das Alice Hospital in Darmstadt (DE) hat eine interessante Lösung dazu entwickelt, die inzwischen auch anderen Spitälern weltweit einsetzen: Ein analoges Konzept wurde digital umgesetzt. Eine 3-D-Abbildung des Spitals diente als Grundlage, auf der die Wege berechnet werden (siehe Sujet 3). Die Nutzer brauchen nur noch ihr Ziel einzugeben und der Weg in der 3-D-Abbildung des Hauses wird angezeigt. Dieser zeigt zwar den Weg nicht in Echtzeit, macht aber mithilfe von markanten Wegpunkte auf der 3-D-Abbildung die Orientierung leicht.
BIM und Signaletik – Fazit
Was also verbindet BIM mit Signaletik? Kurz gesagt: Alles. BIM hat sich durchgesetzt als Hilfsmittel im Bau. Ein grosser Vorteil, die Signaletik in BIM zu integrieren wäre, dass die Signaletik gleich zu Beginn der Planungen mit einbezogen würde. Ein Gebäude, das für den Nutzer unverständlich ist, kann auch durch die beste Signaletik nicht verständlicher gemacht werden. Dann fragen Kolleginnen, BesucherInnen und PatientInnen das Personal nach dem Weg. Dies kostet Zeit und lenkt ab. Die Kosten dafür genau zu berechnen ist nicht leicht. Sie sind aber mit Sicherheit relevant, zu hoch und vor allem grösstenteils durch gute und früh geplante Signaletik vermeidbar.
Zum Schluss noch ein Hinweis: Es muss nicht immer alles virtuell sein. Ruedi Baur (der international bekannte Zürcher Kommunikationsdesigner) empfiehlt sogar, die Simulation bis ganz zum Schluss – und zwar analog: „Machen Sie die Signaletik vor der endgültigen Fertigung auf Papier. Auf schön gestaltetem Papier, aber eben auf Papier (oder mit Modellen). Letzte Unklarheiten, die vorher nicht ersichtlich waren, können Sie dann noch leicht ändern“. Dies wird trotz der vielversprechenden Möglichkeiten der digitalen Simulation noch lange hilfreich sein.
1) M.Gath-Morad, E. Zinger, D. Schaumann, N.P. Pilosof, Y. E. Kalay, A Dashboard Model to Support Spatio-temporal Analysis of Simulated Human Behavior in Future Built Environments, SimAUD 2018 Symposium on Simulation for Architecture and Urban Design.
2) Die Forschung an Spitälern wurde durchgeführt am Technion, Israel und unterstützt vom European Research Council (FP-7 ADG 340753). Lead PI: Professor Yehuda Kalay.
Erschienen in der Fachzeitschrift Heime und Spitäler (Ausgabe 1 / März 2020). Den Artikel als PDF herunterladen.