Neun von zehn Spitälern in der Schweiz werden in den nächsten Jahren neu oder umgebaut. Prozesse werden dabei neu definiert, Gebäude müssen an die veränderten Prozesse angepasst und Wege entsprechend bezeichnet werden. Diese Bezeichnung, die Signaletik, muss dabei so gestaltet sein, dass sie möglichst für alle Zielgruppen klar und leicht verständlich ist und eine stressfreie Bewegung im Gebäude ermöglicht.
Wo, bitte, finde ich die Toiletten?» Diese Frage würde bei einer guten Signaletik nur noch selten gestellt. Und doch hört man diese Frage in Spitälern noch häufig. Was ist Signaletik? Die Theorie: Wahrgenommenes wird auf physischer, psychischer, sozialer und kultureller Ebene gefiltert. Menschen nehmen also unterschiedlich wahr, je nach persönlichem Hintergrund. Alte Menschen sehen oft nicht mehr gut und ihre Beweglichkeit ist eingeschränkt. Eltern eines kranken Kindes, in Sorge oder Verzweiflung, nehmen Signale gar nicht oder anders wahr als entspannte Besucher. Für Demente kann ein Leitmuster auf dem Boden bedrohlich wirken. Frauen nehmen anders wahr als Männer, Analphabeten anders als gebildete Menschen. Auch unterschiedliche Kulturkreise spielen eine Rolle.
Visuelle Kommunikation
Konventionell wird Signaletik nur als Beschilderungssystem verstanden. Die Signaletik kann jedoch viel mehr sein. Sie deckt das gesamte Feld der räumlichen Orientierung ab. Sie dient als Werkzeug, um ein Gebäude für jeden Menschen verständlich zu machen und ist damit Informationsarchitektur. Signaletik soll Klarheit erzeugen, indem sie Übersicht verschafft und Assoziationen weckt und ohne Vorkenntnisse interpretiert und verstanden werden kann.
Besonders dort, wo sich Menschen fremd oder unsicher fühlen und/oder in ihren Sinnen eingeschränkt sind, ist eine gute Signaletik besonders wichtig – und wird gerade dort so selten angetroffen.
Kenntnisse aus Psychologie, Farbenlehre und Architektur fliessen in die Ausarbeitung ein. Farben, Materialien und Formen werden zu Informationsquellen. Sie setzt sich zusammen aus Architektur, Material, Licht, Farbe und Grafik.
Signaletik kann aber nicht nur Orientierung, sondern auch Identität schaffen. Material und Farbe, die für die Signaletik eingesetzt werden, können auch als Visitenkarte für das Gebäude dienen. Corporate Design gilt als Identitätsstiftung und auch die Signaletik kann diese Identitätsstiftung unterstützen. Für Bauherren, Architekten und Grafiker ein schwieriges Zusammenspiel von Ideen und konzeptionellen Ansprüchen.
Signaletik und Prozesse
Gut durchdachte Prozesse sind eine wichtige Voraussetzung für die Konzeption der Signaletik. Auch die beste Signaletik kann ungünstige Prozesse nicht mehr «heilen». Gute geplante Prozesse können jedoch wesentlich durch die Signaletik unterstützt werden, die dadurch zur Effizienz beiträgt und zu einem reibungsloseren Ablauf der Prozesse führen kann. Sind Räume und Flure so angeordnet, dass die meisten Menschen den Weg intuitiv finden, kann die Signaletik dezenter gestaltet werden. Unübersichtliche Gebäude, komplizierte Strukturen, Anzeigetafeln am falschen Ort oder mit zu viel Inhalt (mehrsprachig), wenigen oder unverständlichen Piktogrammen sind in vielen älteren Heimen und Spitälern jedoch eher die Regel.
Ausserdem sollte die Signaletik bei einem Neu- oder Umbau möglichst früh mit geplant werden. Für den Grafiker bleibt so die Möglichkeit, sich mit den architektonischen Vorgaben auseinanderzusetzen. Ein interdisziplinärer Planungsablauf von Anfang an ist ideal. Was muss der Architekt beachten, was der Grafiker? Wie kann das architektonische Konzept bereits zu einem frühen Zeitpunkt das Leitsystem durch das Gebäude beeinflussen, und was bedeutet dies für den Entwurf? Es wird also zum gebäudeplanerischen Masterplan auch ein signaletischer Masterplan erforderlich.
Beispiel Universitäts-Kinderspital
Das Universitäts-Kinderspital beider Basel wurde 2011 fertig gestellt und mit einer beeindruckenden Signaletik versehen. Gelungen ist die Signaletik im Kinderspital, weil alle Beteiligten im Vorfeld einbezogen wurden. So konnte bereits früh die Zielgruppe bestimmt werden: Nicht für Kinder muss die Signaletik konzipiert werden, sondern für die Begleitpersonen. In der Umsetzung wurde dann jedoch dem ausführenden Büro freie Hand gelassen.
Dennoch wird die Signaletik dauernd weiter entwickelt und an die Bedürfnisse angepasst. Oft zeigt erst der Praxistest,wo eventuelle Schwachstellen liegen. Wo öffnet sich eine Glasschiebetür? Für externe Personen nicht immer einfach zu erkennen. Manchmal muss mit Pfeilen nachgebessert werden. Auch müssen zum Beispiel in einem Kinderspital Buchstaben so angebracht sein, dass kleine Kinderhände sie nicht abknibbeln können.
Navigation mit Smartphone
Im Auto hat es fast jeder: Ein elektronisches Navigationssystem. Und wer hat auf dem Weg zu Fuss zu einem Termin nicht schon noch schnell einen Blick auf das Smartphone geworfen, um sich von Google den genauen Weg zeigen zu lassen? Ist es nicht naheliegend, ein solches System auch in komplexen Gebäuden wie Spitälern einzusetzen? In Dänemark wird am Odense University Hospital bereits eine App eingesetzt, die vom Spital entwickelt wurde und die man sich einfach herunterladen kann. Mit Hilfe dieser App lassen sich nicht nur Behandlungstermine, Ärzte und wichtige Informationen finden, sondern sie enthält auch ein Navigationssystem durch das Gebäude. Dazu wird natürlich eine entsprechende technische Infrastruktur benötigt. Diese ist aufwändig und teuer. Aber wie teuer ist es, hoch qualifizierte und ausgelastete Pflegekräfte damit zu beschäftigen, Auskünfte zu erteilen?
Letztendlich wird eine gute Signaletik heute auch einfach erwartet. Wer nicht sofort seinen Weg findet, wird ärgerlich, gestresst, frustriert. Dies zu ändern ist eine Aufgabe, die Spannung aus einem sowieso schon schwierigen Umfeld (Einschränkungen, Krankheit) nehmen und mit geschickter Farbgebung und ansprechendem Design allen Beteiligten viel Freude bereiten kann.
Erschienen in der Fachzeitschrift Heime und Spitäler (Ausgabe 4 / November 2015). Den Artikel als PDF herunterladen.